Grüße aus dem Akku-Lade-Gulag. Wie jedes Jahr müssen erstmal 120 Akkus für die Kamerafallen aufgeladen werden, bevor es so richtig losgehen kann. Wie ein Tanzbär an der Leine geben die Ladegeräte also vor wie man wann und wo zu sein hat. Alle 30 Minuten muss gewechselt werden. Und dabei will ich doch einfach durchs Pantanal toben. So rennt man dann 25 Minuten am Fluss rum und dann zurück. Wechseln. Rasch zu dem Kaktus mit den Kolibris. Wechseln. Ara Nest besuchen. Wechseln. Mittagessen. Wechseln. Die Hälfte ist geschafft. Nun also: Blog schreiben. 10 Minuten bis zum nächsten Wechsel.
Ich bin in São Paulo am Flughafen und auch sonst auf der Reise gut durchgekommen. Durchgeflutscht möchte man schon fast sagen. Lief wie am Schnürchen. Zumindest in der Retrospektive. Währenddessen herrschten zeitweise große Zweifel an der Flutschizität der Reise. An der ellenlangen Schlange vor den brasilianischen Einreiseschaltern informierte ich mich schon über alternative Flüge später am Tag. Dann ging aber plötzlich alles ganz schnell. Zackige Abläufe entstehen in Deutschland meist durch gute Organisation. Dementsprechend wird es eher leiser, je besser es läuft. Beispiel Sicherheitskontrolle. In Brasilien geht ein zackiger Ablauf meist mit einem wirbelnden Orkan an Chaos und Lärm einher. Aber eben- nachdem ich mit leichtem Hörsturz aus dem Geschrei bei dem Safetycheck in Sao Paulo stolpere, kann ich mich mit berechtigtem Optimismus bald in Campo Grande zu landen, in Richtung Gate aufmachen. Es bleibt sogar Zeit für das obligatorische Pão de Queso. Das hilft ein bisschen mich seelisch in Brasilien zu verorten, denn tatsächlich bin ich etwas surreal unterwegs. Sonst sitze ich nach Anreise immer erstmal einige Tage bewegungslos in einem Klappstuhl am Strand in Rio und so ab Tag2 realisiere ich langsam den Ortswechsel. Das fällt ja nun aus bekannten Gründen dieses Jahr weg.
Entsprechend überrumpelt und gleichzeitig überglücklich reiche ich Vavá, meinem Fahrer, dann auch ca. 2,5 Stunden später in Campo Grande am Rande einer staubigen Straße töpfeweise Zierpflanzen an die mit auf die Farm reisen müssen. Er puzzelt sie zusammen mit Koffern, Kisten, und tütenweise Gemüse auf die Ladefläche seines Pick-ups. Das gute alte Tetrisspiel, wir spielen es nun schon seit 12 Jahren und dann geht’s los Richtung Pantanal.
Moment: Akku Wechsel…
Mit Vavá und seinem Geländewagen machte ich meine allererste Fahrt von der Stadt zur Farm. 2009 war das. Und ich lernte damals schon: Nach zwei Stunden ist erstmal Pause an der Raststätte „Rancho do Pescador“- „Die Angler Ranch“. Da gibt’s unter anderem zum Mittagessen den üblichen Prato Feito- also den „fertigen Teller“. Wenn man so will, der traditionelle brasilianische Mittagstisch- Reis, Zwiebel-Fleisch und Bohnen mit einem Ei drüber. Bevor wir beim Rancho ankommen, sitze ich mit einem Loch im Bauch neben Vavá im Auto und denke an nichts anderes als den Prato Feito. Vor der Autoscheibe die Tafelberge, die den Abstieg in die Tiefebene des Pantanal markieren. Bald da.
Fällt mir auf: Mein Flugzeug war ja schon um 7:30 Uhr gelandet. Jetzt ist gerade mal 9:30 Uhr. Nicht unbedingt die übliche Mittagessenszeit. Scheiß Jetlag. 9:54 Uhr sind wir am Rancho do Pescador und nachdem der Kellner seine Verwirrung überwunden hat, wird extra für mich die Küche geöffnet. Als Blondine, die seit zwölf Jahren hier durchreist, ist man bekannt wie ein bunter Hund und geniest Stammgastrechte. 15 Minuten später steht der ersehnte Prato Feito vor mir und rettet mein Leben.
Vavá freut sich über die Reise mit mir zur Fazenda Barranco Alto – in Abwesenheit von Touristen ist es das erste Mal in diesem Jahr, dass er gebucht wurde und auf die Farm fährt. Er ist leidenschaftlicher Angler und bleibt extra eine Nacht, um im Rio Negro Angeln zu können. Dementsprechend stoppen wir noch bei einem Angelgeschäft. Da gibt es viele Aquarien in denen Fische verschiedener Art und Größe schwimmen. Lebendköder. Die Armen. Vavá erklärt mir, welche der Fischchen für welche großen Fische als Köder herhalten und kauft einige längliche, braune mit einer durchgehenden Flosse am Bauch. Den Namen habe ich vergessen. Im Rio Negro ist bekanntermaßen alles voller Piranhas- daher ist die Herausforderung Köderfische zu nutzen, die keine Piranha Beute sind. Sonst füttert man nur Piranhas und fischt nix.
Im weiteren Verlauf der Fahrt ein weiterer Klassiker: Nach Verlassen der offiziellen Straße holpert man über Kuhweiden. Der Startschuss zu: „Wer sieht den ersten Ameisenbären“ kann fallen. Einen habe ich schon am Horizont über eine Weide dackeln sehen, aber das gilt nicht so richtig. Und dann: Eine Sumpfhirschsichtung, diverse Nandus, Wasserschweine und Jabirustörche später- Ameisenbär. Eher zwei Ameisenbären, es ist eine Mama mit Baby auf dem Rücken! Das ist ja ein Empfang! Vavá und ich pirschen um sie rum und machen Fotos, alles unter den neugierigen Blicken der Kuhherde in unserem Rücken. Dann weiter: Die Brücke über den Rio Negro, die letzten Tore, mit jedem nimmt die Schönheit exponentiell zu, der letzte See, eine Pferdeherde, geduckte Häuschen unter dem riesigen Mangobaum. Endlich da. Puh. Schön.
Akku-Wechsel und dann Mittagessen. Hmmm, Léias leckeres Essen. Wie habe ich das vermisst.
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Hemma Ruhaltinger (Montag, 21 Februar 2022 06:22)
Eine bewundernswerte Frau! Ich bin schon lange fasziniert von Ameisenbären und habe von ihr viel über diese hübsche, einzigartige Spezies gelernt.
DANKE! Und die besten Wünsche für die Zukunft! �